Ich bin keine Pflegende. Ich bin ein Mensch in einem Pflegeberuf.
Eine Pflegende zu sein reduziert mich. Mensch zu sein erkennt meine Vielfalt an.
Als ich eine Pflegende war, hatte ich keine Bedürfnisse. Ich war für alle da, wenn sie Hilfe brauchten. Als Mensch wünschte ich mir, ich wäre für mich da gewesen.
Als meine Blase sagte, dass sie voll ist und ich die Zeit für den WC-Gang nicht zu haben glaubte. Als ich mir meinen einzigen freien Tag nehmen liess, weil kein Anderer da war. Als meine Familie sagte: "Wir schauen sowieso nicht mehr auf deinen Dienstplan, du bist ja eh nie da". Als ich monatelang keinen Termin fand, um mich mit einer lieben Freundin zu treffen. Als ich feststellte, dass alle Freizeittermine auch nur noch lästige Termine geworden waren. Als ich gefragt wurde, was ich gerne hätte und mir keine Antwort einfiel. Als ich in einem Laden stand um neue Kleider zu kaufen und den Blick dafür verloren hatte, was mir steht. Als die Freude aus meinem Leben geflossen war und ich keine Zeit fand darüber zu trauern. Als ich alte Verletzungen bei Patienten erkannte und auffing und meine eigenen verdrängte und mich fallen liess. Als ich menschenscheu wurde nach Feierabend. Als ich menschenfeindliche Führungskulturen viel zu lange unterstützte. Als ich...
Mir laufen Tränen übers Gesicht. Ich könnte tagelang so weiterschreiben, mir würden die Worte nicht ausgehen. Ich tue es nicht, denn jeder Mensch, der in der Pflege arbeitet kann seine eigene Liste erstellen und seine ganz persönlichen Tränen weinen. Da bin ich sicher.
"Die Pflege" und all ihre "Pflegenden" schleppen eine kollektive Selbstverletzung mit sich herum. Ich glaube deshalb habe ich mich nie angesprochen gefühlt von solchen Benennungen. Diese kollektive Last zu tragen wiegt schwer. Bis heute. Ich habe mit der persönlichen Aufarbeitung genug zu tun. Trotzdem habe ich die Begriffe selbst lange verwendet.
Bis ich mich auf die Suche machen musste. Auf die Suche nach mir. Ich musste den ganzen Weg zurück gehen, bis zu dem Punkt, an dem ich mich zurück gelassen hatte. Dort kauerte der Mensch. Und ich sammelte jedes einzelne Bedürfnis ein. Noch immer sind einige ungesehen. Aber viele sind inzwischen gesehen, erfüllt, geheilt.
Pflegende zu sein ist ein einziges kleines Mosaiksteinchen von allem, was mich ausmacht.
Wenn es nur das ist, was ihr sehen wollt, stehe ich nicht mehr zur Verfügung.
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